Bilder üben Gewalt aus

April 2020. Nadja dreht in Kolumbien einen Dokumentarfilm über die Umsiedlung eines Dorfes am Rande einer großen Steinkohlemine. Im Zuge der Dreharbeiten wird sie Zeugin von Vertreibung und Mord. In Dominik Buschs Stück Das Recht des Stärkeren geht es um Gewalt und Gier und um die Schwierigkeit in dieser Welt ein ruhiges Gewissen zu bewahren. Wir sprachen mit Regisseur Jan Neumann, der das Stück in Weimar auf die Bühne gebracht hat.

Wie ist es für Sie als Regisseur, der selbst Autor ist, den Text eines Kollegen zu inszenieren?

Jan Neumann: Die Dramaturgin Beate Seidel sagte mir: Hier ist ein Stück, das ganz viel von dem berührt, was wir oft besprechen, auch jenseits der Arbeit. Ich fand den Text sofort ganz toll. Auch wenn wir nicht die deutsche Erstaufführung hatten – es gibt da ja diesen bekannten Marktmechanismus für neue Dramatik – war es uns wichtig, diese Inszenierung zu machen. Dominik Busch und ich haben uns kennengelernt bei einem schönen Kaffeetrinken und standen locker im Kontakt über den Text. Generell versuche ich, wenn ich die Arbeit von Kollegen betrachte, meinen Geschmacksdaumen nicht sofort nach oben oder nach unten zu halten, sondern so offen wie möglich zu blicken: Was macht er da und wie macht er das? Das ist viel bereichernder, als sich in den Elfenbeinturms des eigenen Geschmacks zurückzuziehen. Ich schreibe so, wie ich schreibe, kann aber andere Autoren dafür bewundern, dass sie ganz anders schreiben. Gleichzeitig würde ich sagen, es gibt etwas, das Dominik und ich als Autoren gemeinsam haben: dass wir beide mit Narration arbeiten.

"Das Recht des Stärkeren" ist ein sehr ernsthaftes Stück, das von Perspektivverschiebung, Verhältnis des globalen Nordens und Südens spricht, von der Relativität von Wahrheit, Rohstoff-Ausbeutung und kolonialen Perspektiven. Sie beschäftigen sich als Regisseur mit ähnlichen Themen, aber viel humoresker. Was ist auf dem Theater geeigneter, um die apokalyptische Politikerzählung unserer Zeit zu befragen?

Jan Neumann: Das ist nicht leicht zu beantworten. Auf jeden Fall ist es wohl die ernsteste Inszenierung, die ich je gemacht habe. Ich habe mit dem Bühnenbildner Philip Rubner zum ersten Mal zusammengearbeitet. Auch durch ihn ist diese Arbeit sehr clean und klar geworden. Es ist ein sehr starker Text über die Macht und Gewalt der Bilder. Es bezieht sich eben auch auf einen Menschen, der mit den Techniken des Films eine Geschichte manipuliert und damit das "Recht des Stärkeren" ausübt. Es gibt dort Erzählstränge, die mir das schlimmste Grauen erzählen, das im Kopf aber viel größer ist, als wenn man es auf der Bühne darstellt.

Ist das der Grund dafür, dass ein großer Teil der Inszenierung im Dunkeln stattfindet und das Mittel der Videokamera nicht eingesetzt wird – obwohl sich das Stück um einen Film dreht?

Jan Neumann: Schon beim ersten Lesen dachte ich: Wenn beschrieben wird, wie ein Mensch mit einer Motorsäge zersägt wird, kann man das nicht darstellen. Gleich am Anfang waren wir uns einig, dass wir uns den Bildern eher verweigern wollen, die nie so stark und real sein können wie die Idee von ihnen. Bilder sind im Grunde eine Anmaßung und eine Form der Gewaltausübung. Wir standen vor der Entscheidung: machen wir Dokumentartheater, basierend auf dem reichen Recherchematerial des Autors, oder gehen wir in die Verweigerung? Ein Thema ist ja auch die Manipulation, die über das Produzieren eines Filmes geschieht, das gilt ja für Theater exakt genauso. Wir haben daher weite Teile als Hörspiel konzipiert, für mich eins der stärksten Medien überhaupt. Es wirft mich auf meine eigene Bilderwelt zurück, zieht in die Geschichte hinein, lässt mich meine eigenen Vorstellungen erschaffen und bringt anders zum Nachdenken. An einer Stelle arbeiten wir mit Projektoren, einem Lehrmittel eigentlich, ganz analog. Denn ja, es ist ein Lehrstück, auch ein moralisches Stück, das ist seine große Qualität.

Das Stück handelt davon, dass sich eine Dokumentarfilmerin beim Aufdecken globaler Schuld-Strukturen selbst in Schuld verstrickt. Im Vergleich zur deutschen Erstaufführung in Oberhausen erscheint Ihre Inszenierung abstrakter. Ist da nicht die Gefahr, dass Sie den Zuschauer ein wenig zu distanziert lässt?

Jan Neumann: Möglicherweise. In den ersten zehn Minuten ist in dieser Inszenierung ja wirklich kein Licht zu sehen - selbst die Notbeleuchtung durfte in Weimar kurzzeitig verdeckt werden. Dann wird eine Zeit lang mit Schlaglichtern und Schattenrissen gearbeitet, der Zeuge wird in einer Gegenlichtsituation befragt. Mit dem Mittel der Drehbühne, von Hand betrieben, erschaffen wir zugleich permanent eine Art von Kamerafahrt. Das ist für mich ein Mittel, um immer mehr in eine Art Bild zu kommen – bis hin zur ausgeleuchteten Preisrede der Dokumentarfilmerin…

 …von der Hauptdarstellerin Johanna Geißler, die für meine Begriffe großartig spielt und spricht.

Jan Neumann: Ja, es ist aber auch für sie ein Arbeitsprozess, mit dem sie immer noch ringt. Im Moment vorher gibt es eine Traumsequenz, die Begegnung mit dem Kronzeugen Diego, im Nebel. Dann öffnen wir alle Fenster: Auf einmal bricht die Realität ein. Man kommt also von seinem Kopfkino zu einer Form von Bestandsaufnahme: Da sitze ich jetzt.

Wir wissen alle, dass Theater momentan eine neue Legitimation erhalten, indem sie gegen demokratische Gefährdungslagen anarbeiten, allein durch die Kraft, die Zuschauerversammlungen in Echtzeit haben. Wie können Theater der politischen Krisenerzählung am besten begegnen?

5388 recht des staerkeren 030 foto candy welzJohanna Geißler und Lutz Salzmann © Candy Welz

Jan Neumann: Das Aktivistische beginnt für mich damit, dass alle in einem Raum sitzen, schweigen, lachen, zuhören. Ich glaube an diesen freien Erzählraum Theater. Ich bin manchmal davon irritiert, dass viele Kollegen so sicher zu glauben scheinen, wie es geht, meins ist jetzt die richtige Erzählweise. Ich würde mich stark distanzieren von so einem Satz. Ich weiß es nämlich nicht. Ich weiß nicht, warum ich etwas Bestimmtes aus einem Text heraus lese, vermutlich mit dem, was meine Biografie in mir gesammelt hat an Wissen, aber auch an Nichtwissen, an Weisheit, Zärtlichkeit, Dummheit und Verblendung. Ich denke immer, das müssten wir uns gegenseitig zugestehen. Theater sind Utopieräume – das leuchten wir als Theaterleute aber zu wenig aus, wenn wir immer nur Missstände anklagen. Dabei haben wir als bezahlte Staats- und Stadtutopisten eigentlich die Verantwortung, Gegenerzählungen zu entwerfen.

Wie könnte das konkret aussehen?

Jan Neumann: Eigentlich müssen wir ein Plädoyer für Märchen halten, weil sie uns die Möglichkeitsräume überhaupt erst wieder aufmachen. Und eben nicht die schon sehr beschriebenen Räume immer weiter beschreiben, die uns spiralförmig in die Depression führen. Das heißt natürlich nicht, Realitäten zu verkennen, zu ignorieren oder zu verdrängen.

Können Sie aus eigener Anschauung erzählen, wie sich die Lage für zeitgenössische Dramatiker hierzulande gerade darstellt?

Jan Neumann: Ich bin vielleicht nicht der Richtige, um davon zu sprechen. Ich war ja erst zehn Jahre lang Schauspieler, das Schreiben und das Inszenieren haben sich dann bei mir etwa zeitgleich entwickelt. De facto bleibt es so, dass Theaterautoren nicht mit Geld überschüttet werden. Wenn ein Stück mehrfach läuft, merkt man das deutlich. Ansonsten ist man gezwungen, drei bis vier Stücke im Jahr vorzulegen, was kaum möglich ist. Selbst namhafte Kollegen gelingt es oft nicht, ihre Miete zu zahlen. Es bleibt ein Problem, dass Autoren, wenn sie neu am Markt sind und eine neue Sprache entwickeln, für kurze Zeit hochgeschossen werden und sich dann vielleicht doch als zu eigene Köpfe herausstellen und wieder fallen gelassen werden. Autorenförderung wäre viel sinnvoller, wenn sie Zweit-, Dritt-, Viertaufführungen ermöglichen würde. Kein Stück kann sich nur über eine Uraufführung beweisen. Dominik Busch war glaube ich, ein bisschen erstaunt, in der Zweitaufführung von "Das Recht des Stärkeren" einer formal ganz anderen Inszenierung zu begegnen. Doch genau darüber kann ein Text erst in seiner Vieldeutigkeit sichtbar werden. Sowohl Theater als auch Kritiker sollten sich viel mehr trauen, Zweitaufführungen eine Chance zu geben.

Das Interview führte Dorothea Marcus

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