Autor*innenpreis
Sören Hornung - Arche Noa
Es herrscht Nebel auf der Welt. Nebel, der jeden tötet, der sich nicht rechtzeitig nach drinnen flüchten kann. Doch zum Glück gibt es den Supersupermarkt. Der bietet Schutz, der öffnet seine Tore – allerdings nur für zahlungskräftige Kunden. So einer ist Dietmar, der Anwalt, ehemals Milchbauer, immer Transmann – nur versteht er nicht ganz, dass man unbedingt Geld braucht, um zu überleben, denn der Supersupermarkt ist doch voll mit Lebensmitteln. Aber die muss man ja auch erst kaufen, erklärt ihm Simone, ehemals Aushilfe, jetzt Geschäftsführerin. Während Dietmar und Simone den tödlichen Nebel aussitzen und ihre Lage immer bedrohlicher wird, begegnen ihnen noch andere schräge Gestalten. Inzwischen baut Simone eine Arche, um sich in Sicherheit zu bringen. Mit "Arche NOA – Das Ende vom Schluss" hat Sören Hornung eine bitter-komische Metapher auf die kapitalistische Weltordnung geschrieben, in der Zahlungsfähigkeit zur einzigen Lebensberechtigung geworden ist.
Sören Hornung ist Regisseur, Autor und Performer. 2012 gründete er mit Paula Thielecke das Theater KOLLEKTIV EINS. 2016 beendete er sein Regiestudium an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Mit seinem Stück "Sieben Geister" war er bereits 2018 für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert.
Autor*innen und Stücke
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Das Stückporträt: Sören Hornung – Arche NOA
von Georg Kasch
April 2020. Willkommen in der Zukunft: Die Erde wird von einem alles vernichtenden Nebel beherrscht. Dietmar, kläglicher Held der Geschichte, hat es gerade noch zu einem Supermarkt geschafft, eine Art Rettungsinsel der Übriggebliebenen. Rein kommt allerdings nur, wer etwas kaufen will.
Denn hier regiert Simone, die ihren "SuperSupermarkt" verteidigt wie Europa seine südlichen Grenzen und zugleich eisern die Fahne des Konsums hochhält. Auf Dietmars Frage, warum sie denn Geld brauche, wenn der Laden doch voller Dinge sei, antwortet sie: "Du hast wohl etwas zu tief eingeatmet da draußen Wie sollen wir diese wunderschönen Dinge denn kaufen ohne Geld." – "Aber die Lebensmittel die sind doch da Die müssen Sie doch nicht kaufen Nehmen Sie doch einfach die Lebensmittel." – "Aber von den Lebensmitteln können wir uns doch nichts kaufen Kaufen kann man nur mit Geld."
Es ist die alte Logik des Marktes, die in Sören Hornungs "Arche NOA“ ohne Punkt und Komma alle durchdringt. Er zeichnet eine vollkommen durchökonomisierte Welt; gesellschaftlicher Fortschritt wird nicht dadurch definiert, dass alle versorgt sind, sondern dadurch, dass die Wirtschaft brummt, die Gewinner weiterhin gewinnen.
Mit Dietmar, Anwalt und Transmann, eine Art Tor – nicht unschuldig, aber naiv – stolpern wir durch "Das Ende vom Schluss", wie das Stück im Untertitel heißt. Während der Nebel weiter tötet, das Wasser steigt, begegnet er neben Supermarkt-Simone noch der toten Mutter, die ihre Kinder umgebracht hat, Bundeswehr-Soldat Karl Schmidt, als Drohnenpilot Experte fürs entfremdete Töten – und schließlich sogar Gott.
Die Erde ist am Ende
Kapitalismuskritische, klimasensible Dystopien für die Bühne gibt es etliche. Aber nur wenige setzen sich in den Spielplänen durch (im Wesentlichen Thomas Köcks Klimatrilogie, deren zweiter Teil paradies fluten 2015 im Stückemarkt-Wettbewerb lief). Wie schwierig es ist, starke Thesen in bühnenwirksame Dramatik zu übersetzen, hat sich gerade gerade erst wieder bei Marius von Mayenburgs Die Affen gezeigt. Da füllt Hornung mit seinem Stück eine Lücke. Denn seine Groteske schreit förmlich danach, von starken Spieler*innen zum Leben erweckt zu werden. Schon beim Lesen hat man den naiv-nölenden Sound von Simone im Ohr, den rätselnd-fragenden von Dietmar oder den abgeklärt-müden von Gott. Obwohl der Autor mit reichlich Übertreibung und intertextuellen Verweisen arbeitet, wirken seine Figuren erstaunlich plastisch und nachvollziehbar. Bei aller Zuspitzung lässt er ihnen ihre Widersprüche. So erweisen sich ihre Lebenslügen als die unsrigen, die wir doch allzu oft selbst den neoliberalen (Selbst-)Optimierungsprinzipien folgen und für jeden Kurzstreckenflug, jede Gedankenlosigkeit, jedes Ausblenden eine Entschuldigung parat haben.
Das Stück ist so komplex wie der alles vernichtende Nebel selbst: Es könnte sich um Smog handeln, die Rauchschwaden der brennenden Erde, das giftige Resultat chemischer Prozesse. Aber der Nebel ist eben auch Metapher für die Orientierungslosigkeit, den fehlenden Durchblick der Handelnden und Produkt all des uninformierten Quasselns, das mehr vernebelt als erklärt. Die Figuren ergehen sich in ausschweifenden Monologen. So bemüht Simone einen Horror-Plot, um die Katastrophe zu erklären: Der Nebel, das seien umgekommene Minenarbeiter, die sich nun an der Welt rächten. Ganz sicher steht er aber für die Verdrängungsmechanismen, mit denen kaschiert wird, wie das Eine mit dem Anderen zusammenhängt, das "Höher! Schneller! Weiter!" mit der unwirtlich gewordenen Erde zum Beispiel.
Der zutiefst menschliche Versuch, das Unerträgliche zu verdrängen, bestimmte schon Hornungs frühere Stücke Sieben Geister und "Die Legende von Sorge und Elend". Darin setzte er sich anhand konkreter Familiengeschichten mit der deutschen Vergangenheit auseinander, mit Traumata, die sich über die Generationen vererben. Hornung sagt: "Menschen machen sich immer wieder ihre eigenen Erzählungen, um komplizierte, schmerzvolle Erlebnisse und Zusammenhänge ertragbar zu machen. Wenn sich viele damit identifizieren, gewinnt so eine Erzählung an Macht und verdrängt andere Erzählungen. Diese Erzählungen schwelen so lange, bis sie auserzählt worden sind, bis kein Auftrag, keine Hoffnung mehr in ihnen steckt."
Alles Lüge!
Ein solcher Mechanismus lässt sich in "Arche NOA" zum Beispiel am Bundeswehr-Soldaten Karl Schmidt studieren. In seinen Monologen stolpert er von einer absurden Schlussfolgerung zur nächsten, offenbart sich die funkelnde Scheinlogik der Weltverschwörer und Aluhutträger. Folgerichtig, dass Karl im Kaputtmachen besser ist als im Reparieren und für sein Versagen Dietmar als Sündenbock ausmacht. Als der sich wehrt, kontert Karl: "LÜGE LÜGE ALLES LÜGE" – da haben wir sie, die "Argumentationsstrategien“ der Populisten und neuen Rechten. Simone fordert derweil die anderen auf, "diese Katastrophe als Chance" zu begreifen, die "die Spreu vom Weizen" trennt und sie gestärkt hervorgehen werden lasse. "Und die Anderen sterben halt".
So schreitet Hornung die Themenfelder Kapitalismus, Populismus und Klimakrise ab, ohne dass dieser Spaziergang durch die Krisenherde der Gesellschaft didaktisch geriete. Zu gebannt ist man von grotesken Binnenlogiken, geschlossenen Argumentationsstrukturen und sorglos zur Schau gestellter Gier. Trotz starker Figuren, Mono- und Dialogen, Bühnenanweisungen und Witz ist "Arche NOA" weit davon entfernt, ein Well-made-Play zu sein. "Texte müssen Mitspieler*innen sein, keine Diktatoren, die alles vorgeben", sagt Hornung. "Schauspiel, Regie, Text und Publikum müssen sich gegenseitig beeinflussen, beflügeln und befragen. Es geht doch darum, dass die Gruppe, die an einem Thema arbeitet, die Fährte einschlägt, die den Beteiligten unter den Fingernägeln brennt."
Die titelgebende Arche bezieht sich übrigens nicht mehr auf den biblischen Noah, sondern auf die Abkürzung einer Verkaufsformel. Rettung gibt es in der Zukunft keine. Aber Hornung bietet mit seinem Stück jede Menge Gedankenfutter für die Zeit zwischen Heute und Morgen, in der sich etwas ändern muss.