Es ist doch toll, wenn man so ein unfertiges Kunstwerk ins Leben wirft

Gespräch mit Maria Milisavljević und David Gieselmann

März 2020. Kurz vor dem Shutdown trafen wir die Dramatiker*innen Maria Milisavljević und David Gieselmann in einem Berliner Café zum Interview. Beide gehören einer Gruppe von Theaterautor*innen an, die einander in ihrem Berufsleben unterstützen und die Lobby der Autor*innen im Betrieb stärken wollen. Ein Gespräch über die Bedingungen des Schreibens für das Theater.

Sie beide gehören einer Gruppe Theaterautor*innen an, die sich im letzten Jahr bereits zwei mal getroffen haben. Wie kam es dazu?

David Gieselmann: Es gibt schon lange eine Facebookgruppe der Theaterautor*innen im deutschsprachigen Raum. Die habe ich einmal gegründet, weil ich dachte, es wäre gut, einen geschützten Raum zu haben, innerhalb dessen man sich über Themen austauschen kann. Ohne, dass gleich Intendanten oder Regisseure mithören. Als dann diese ganzen Netzwerke in die Öffentlichkeit traten – das Ensemble Netzwerk, die Dramaturgische Gesellschaft, inzwischen gibt es ja sogar ein Regieassistent*innen-Netzwerk – da dachten Ulrike Syha und ich, vielleicht wäre es nett, einmal ein analoges Treffen der Mitglieder dieser Facebookgruppe zu organisieren. Es haben sich vierzig Teilnehmer*innen angemeldet, gekommen sind dann fast siebzig. Das war überwältigend. Da haben wir gemerkt, dass es ein Bedürfnis gibt, eine Sehnsucht nach Austausch. Inzwischen hat es ein zweites Treffen gegeben.

 

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Was waren die Themen?

Maria Milisavljević: Wir hatten uns schon vorab darüber verständigt,. Beim ersten Treffen gab es daher schon Arbeitsgruppen. Es ging um Fragen wie: Was für Honorarsätze setzen wir wofür an? Oder: Wie könnten wir erreichen, Steuerkarten zu bekommen, und nicht nur für Inszenierungen unserer Stücke? Andere Gruppen haben sich mit inhaltlichen Fragen auseinandergesetzt. Was bedeutet es, dass die Dramenliteratur in Bibliotheken, Buchhandlungen und in der Wissenschaft nicht mehr so präsent ist? Was genau ist überhaupt eine Uraufführung? Wie könnte man mehr neue Dramatik in die Spielpläne bringen?

Haben Sie Forderungen an den Betrieb formuliert?

Maria Milisavljević: Ich glaube, dass es uns allen erst einmal darum geht, einen Berufsverband zu gründen. Wir brauchen eine Plattform, von der aus wir rechtlich und kulturpolitisch agieren können.

David Gieselmann: Es gab auch eine Diskussion über die Altersstrukturen – also warum so viele Fördermodelle und Preise an ein Höchstalter geknüpft sind, Stichwort: Altersdiskriminierung. Wie man an der Vielfalt der Themen wohl schon merkt, hat sich da eine große Bandbreite an Leuten zusammengefunden. Siebzig waren vor Ort, 130 sind im Mail-Verteiler. Darunter sind Studierende des Szenischen Schreibens, Autor*innen, die Krimi-Dinner schreiben, Leute, die eher in der freien Szene unterwegs sind, bis hin zu gestandenen, erfolgreichen Dramatiker*innen und auch Regisseur*innen, die ihre Stücke selbst entwickeln.

Alle geeint durch Unzufriedenheit?

Maria Milisavljević: Eher durch den Wunsch, aktiv zu werden, im positiven Sinn. Alle wünschen sich Austausch und Vernetzung. Dafür gibt es zwei Motivationen. Die einen finden es wichtig, dass wir eine kulturpolitische Stimme haben, einen Berufsverband, der rechtlich für uns agieren kann. Momentan sitzen Autor*innen nicht mit an den Tischen, an denen über ihre Honorare entschieden wird. Aber auch einfachere Sachlagen wären für uns leichter gestaltbar, wenn es eine zentrale Organisation gäbe, die beispielsweise Musterverträge ausarbeitet oder andere Rechtsfragen bearbeiten kann. Die andere Motivation betrifft eher die jüngere Autor*innen-Generation. Von ihnen wünschen sich viele einen größeren Austausch mit den Regie-Teams und eine Neubewertung dessen, was zeitgenössische Dramatik ist und sein könnte. Es geht darum, zu überlegen, wie Stückentwicklung funktioniert, was es bedeutet, im Austausch zu sein, und dafür zu sorgen, dass unsere Texte nicht als autoritäre Geste wahrgenommen werden.

Was meinen Sie damit: "autoritäre Geste"?

Maria Milisavljević: Ich habe in einem Interview von Mario Salazars Arbeit innerhalb des Autor*innenprogramms im Berliner Ensemble gehört. Da hieß es, ihm sei von der Regie kommuniziert worden, dass sein Text kein demokratisches Arbeiten zulasse. Ich hielt das für ein interessantes Statement, mit dem ich mich stärker auseinandersetzen wollte. Ich habe dann selbst ähnliche Rückmeldungen bekommen: dass der dramatische Text als gesetzt empfunden würde – als autoritäre Geste eben – und unklar sei, was man damit machen dürfe. Mich hat das gewundert, weil ich selbst meine Texte gar nicht als autoritäre Geste empfinde, sondern als ein Angebot, über das ich mich mit dem künstlerischen Team austauschen will. Wenn denen die Szene nicht gefällt, bin ich immer bereit, eine neue zu schreiben. Ich heiße auch jede Strichfassung eigentlich immer willkommen, weil ich sie als Verschärfung des künstlerischen Blicks durch eine andere Person verstehe. Ich selbst möchte mich gar nicht als die Autorin sehen, die in ihrer Kammer sitzt und einen Text schreibt, der komplett von mir ist. Weil ich glaube, dass die Stimmen, die danach dazu kommen so wichtig sind. Das ist wie bei einem Architekt, der einen Plan zeichnet, aber der macht dann nicht die Innenausstattung. Ich weiß nicht, welche Farbe das Dach haben wird und das möchte ich auch gar nicht wissen.

 

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Immer wieder ziehen Autor*innen ihre Texte von geplanten Uraufführungen zurück, oder man hört, dass sie frustriert darüber sind, wie mit ihren Texten umgegangen worden ist. Wie kommt es dazu?

David Gieselmann: Das Thema stand nicht im Vordergrund bei unseren Treffen. Was aber als Unzufriedenheit formuliert wurde, ist dass die Stücke meistens nur einmal inszeniert werden, und dann wieder weg sind. Das ist auf Dauer kein tragbares ökonomisches Modell. Es ist wahnsinnig anstrengend, wenn man immer ein Stück nach dem anderen heraushauen muss. Man hat so zu wenig Zeit, Dinge weiterzuverfolgen und im Schreiben zu vertiefen. Ich selbst verdiene zwar gut, bin in in einer komfortablen ökonomischen Lage, kann aber auch nichts absagen. Wenn jemand kommt und fragt: Übersetzt Du uns den Sommernachtstraum ins Hessische? Dann sage ich: Klar, mache ich! (lacht)

Warum werden so wenige Stücke nachgespielt?

David Gieselmann: Ein Grund ist der Hype um Uraufführungen. Man erregt mit Uraufführungen mehr Aufmerksamkeit, als wenn man ein Stück nachspielt. Ein anderer ist die Spielplanpolitik. In den Theatern und Dramaturgien wird zu wenig von den Stücken ausgehend gedacht. Es wird nicht nach Stücken wegen der Stücke gesucht, sondern meistens nach einem Stück für ein bestimmtes künstlerisches Team. Erst stehen die Regisseur*innen fest, dann sucht man nach passenden Stoffen. Diese Art und Weise, die Spielpläne zu gestalten, da mit einem Netzwerk der Theaterautor*innen künftig stärker gegensteuern zu können, das wäre schon etwas, das man versuchen sollte.

Es gibt kaum Autor*innen in Spitzenfunktionen, z.B. in den Intendanzen. Würden Sie es begrüßen, wenn sich das ändern würde?

Maria Milisavljević: Absolut.

David Gieselmann: Ich wüsste gar nicht, wie viele Autor*innen das überhaupt wollen würden. Aber ich fände das prima.

Maria Milisavljević: Ich finde aber, dass die neue Dramatik gar nicht durch ein reines Autor*innenprogramm oder –theater gedacht werden muss oder sollte, sondern als Teil eines Theaterbetriebs, der wächst. Es wird immer so kommuniziert, als wäre das Autor*innentheater das Gegenstück zum Regietheater. Es müsste aber doch eigentlich darum gehen müsste, sich mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, in einem Raum, der nicht nur aus neuen Texten besteht, sondern in Diskurs treten kann mit alten Texten. Es geht um Ideen, es geht um Gedanken. Da können die neuen Texte auch auf der großen Bühne gespielt werden, und die Klassiker auf der kleinen. Vielleicht sagen wir es mit Aischylos. Vielleicht sagen wir es aber auch mit einem Text von Rebekka Kricheldorf. Beide sind in einer Spielzeit drin und stehen miteinander in Diskurs. 

 

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Die Gegenwart sieht anders aus. Es gibt die Klassiker; es gibt einen Trend zum performativen Theater, bei dem die Schauspieler*innen selbst ihre Texte schreiben und es gibt das dokumentarische Theater. Man könnte meinen, dass die zeitgenössische Dramatik eher im Hintertreffen ist. Würden Sie den Eindruck teilen?

Maria Milisavljević: Es finden gerade Wandlungen statt. Die gehen bei uns in Richtung Performance, in anderen Ländern orientiert man sich dagegen immer stärker an einer Drehbuchdramaturgie. Das dramatische Schreiben ist meiner Meinung nach gar nicht im Hintertreffen. Das Stück vielleicht schon, aber nicht das dramatische Schreiben und nicht jene, die dramatisches Schreiben beherrschen.

David Gieselmann: Es gibt mittlerweile auf jeden Fall mehr Leute, die davon leben können als zu der Zeit, als ich Szenisches Schreiben studiert habe. Da gab es Botho Strauß, Heiner Müller, Tankred Dorst und Elfriede Jelinek. Und das war's. Uns wurde gesagt, dass wir das vergessen könnten.

René Pollesch steht, als einziger Theaterautor, bald an der Spitze eines großen Hauses. Er inszeniert seine Stücke stets selbst und sieht dieses Modell auch für die Zukunft der Volksbühne vor. Ist die Arbeitsteilung zwischen Autor*in und Regie veraltet?

Maria Milisavljević: Nein. Ich verstehe es, wenn Kolleg*innen gerne selbst inszenieren wollen. Aber ich selbst sehe es als große Bereicherung, wenn die Regie etwas aus meinem Text macht. Von daher fände ich es sehr schade, wenn dieses Konzept abgelöst würde.

David Gieselmann: Ich glaube auch nicht, dass das Modell tot ist. Zwar halte ich mich selbst nicht für völlig unbegabt als Regisseur, aber meine eigenen Stücke würde ich nicht inszenieren wollen. Es ist doch toll, wenn man so ein unfertiges Kunstwerk ins Leben wirft und sagt: Jetzt seid ihr dran, macht was draus. Ich finde dieses Eingeschrieben-Unfertige toll und es macht mir nach wie vor großen Spaß das Ergebnis zu sehen, wenn es denn dann fertig ist.

Welche Rolle spielen Wettbewerbe wie der Heidelberger Stückemarkt für Theaterautor*innen?

Maria Milisavljević: Wer am Anfang seiner Karriere steht und noch nicht auf Auftragsbasis arbeitet, hat zwei Möglichkeiten sichtbar zu werden. Entweder du bist an einer der großen Schreibschulen, dann kommen die Leute zu deinen Lesungen. Oder du machst mit Preisen auf dich aufmerksam. Es geht noch nicht mal so sehr darum, wer gewinnt, sondern wer nominiert ist. Wettbewerbe sorgen für Sichtbarkeit. In Heidelberg kommt noch das Kinder- und Jugendtheater und vor allem der Nachspielpreis hinzu. Es ist sehr wichtig, dass man die Stücke noch einmal sehen kann, dass da noch mal Kritiken erscheinen. Ich finde das großartig, weil es dem Kurzlebigen des Theaters etwas entgegensetzt.

David Gieselmann: Der Preis in Heidelberg wurde meiner Beobachtung nach auch dadurch aufgewertet, dass die eingereichten Texte bereits für Uraufführungen gebucht sein dürfen. Ich kann mich erinnern, dass die Verlage, als es noch anders war, mehr oder weniger nur ihre Schubladenhüter eingereicht haben. Das ist nicht mehr so und das tut der Sache sicher gut. Dankenswert finde ich außerdem, dass Heidelberg das Gewinnerstück oder ein anderes aus dem Wettbewerb zum Auftakt des nächsten Festivals spielt, unabhängig davon, ob es dann schon die zweite oder sogar dritte Inszenierung des Stücks ist.


 

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Es wird gerade viel über Identitätspolitik und Kulturelle Aneignung debattiert. Kann man sich noch unbefangen Figuren ausdenken?

Maria Milisavljević: Ich stelle mir diese Frage ständig. Es gibt die lustige Situation, dass ich wegen meines Namens das Recht habe für "Jugos" zu schreiben, obwohl ich selbst aus dem Sauerland komme wie mein Vater auch schon und ich mich selbst gar nicht in der Position sehe. Es gibt andere Positionen, die darf ich nicht beziehen. Ich kenne die Thematik aus dem amerikanischen Umfeld, in dem man schon sehr viel weiter ist. Dort bin ich mit meinen Stücken schon an Grenzen gestoßen. Mir wurde gesagt, dass ich keine indigene Figur in meinem Stück auftreten lassen dürfe, weil ich selbst nicht indigen sei. Nur wenn ich für die Rolle einen Schauspieler finden würde, der indigen ist, ginge es. Ansonsten müsste ich den Charakter umschreiben. Erst habe ich mich geärgert, aber dann habe ich es verstanden. Wenn ich heute eine Stimme schreibe, bei der ich vielleicht an einen wunden Punkt rühre, wende ich mich an die betroffenen Menschen und frage sie, welche Rolle sie in meinem Prozess spielen wollen. Ich denke, es geht bei der Debatte gar nicht um Restriktionen sondern darum, den Raum für Diskussionen zu öffnen, in Austausch zu treten.

David Gieselmann, Sie sind schon lange im Geschäft. Was hat es sich aus ihrer Sicht im Laufe der Zeit verändert?

David Gieselmann: Am Anfang meiner Karriere habe ich von einem Boom aus England profitiert, gemeinsam mit anderen wie Dea Loher, Marius von Mayenburg oder Roland Schimmelpfennig. Es ging darum, wieder Stücke zu schreiben, in denen Geschichten erzählt werden. Dieser Hype wurde befördert durch die Baracke am Deutschen Theater Berlin und den Austausch mit dem Londoner Royal Court Theatre. Der Trend hat sich dann auch in anderen Ländern fortgesetzt. Eine Zeit lang habe ich deutlich mehr Geld im Ausland verdient als hier. Das hat sich sehr geändert.

Maria Milisavljević, Sie haben einige Jahre in Toronto am Theater gearbeitet und Ihre Doktorarbeit über Autor*innenentheater am Londoner Royal Court Theatre geschrieben. Haben Sie Unterschiede kennengelernt in Bezug auf die Arbeit mit Autor*innen hierzulande?

Maria Milisavljević: Der Text hat einen anderen Stellenwert. Er ist die wichtigste Instanz, man hat auch sehr großen Respekt vor der schreibenden Person. Was zum Beispiel dazu führt, dass nur sehr selten eine Strichfassung gemacht wird. Die Regie würden sich nicht trauen, in den Text einzugreifen. Außerdem tritt die Produktionsdramaturgie zurück zu Gunsten des literary department. Die literary managers sind über Jahre mit Autor*innen im Austausch, suchen ständig neue Texte und Talente. Es werden sehr viele Stücke gelesen, wofür die Dramaturg*innen bei uns im Arbeitsalltag gar keine Zeit haben. Hinzu kommt, dass es ein anderes Finanzierungsmodell gibt, das sich auch auf die Ästhetik der Texte niederschlägt. Es gibt in diesen Ländern kaum staatliche Förderung, man ist sehr auf die Eintrittsgelder angewiesen. Die Stücke müssen daher zwingend bei den Abonnenten ankommen. Deshalb bilden sich, das sieht man in Nordamerika noch etwas mehr als in UK, sehr oft Dramaturgien heraus, die sehr nah an einer aristotelischen Drehbuchdramaturgie dran sind. Aus unserer deutschen Sicht ist das für manche erstrebenswert. Ich selbst möchte als Autorin mehr dürfen. Ich muss auch nicht immer wissen, wo die Tür ist und wo das Fenster ist, wenn ich eine Szene schreibe. Das deutsche System ist mir viel näher. Durch die staatlichen Förderungsstrukturen hier werden Experimente und künstlerische Freiheit erst möglich.

 

Das Gespräch führten Esther Slevogt und Michael Wolf
Fotos: Esther Slevogt

 

David Gieselmann hat mehr als 20 Stücke geschrieben, zuletzt "Spin" im Auftrag des Theater Bielefeld, mit dem ihn eine achtjährige Zusammenarbeit verbindet. Derzeit schreibt er an dem Monolog-Irrgarten "Hanna Silber", den man im Internet sehen kann. Er lebt mit Familie in Hamburg.

Maria Milisavljević ist Theaterautorin und Übersetzerin. Für ihr Stück "Brandung" gewann sie u.a. 2013 den Kleistförderpreis für junge Dramatik. Ihr Stück "Beben" wurde für den Mülheimer Dramatikerpreis 2018 nominiert, sowie mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2016 und dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis 2017 ausgezeichnet. Mit family and other animals haust sie in diesen Zeiten auf dem Land und zieht Gemüse auf der Fensterbank.
 

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