Neun Thesen für ein zeitgenössisches junges Theater

von Julius E. O. Fintelmann und Sari Pamer

April 2020. Diese Thesen sind aufgestellt unter der Prämisse, das breitgefächerte Jugendtheater in einen zeitgenössischen Kontext zu setzen.

Den Autor*innen geht es darum, klarzustellen, wie sich welches Spiel auf der Bühne auf die Vielfalt des Publikums und den bildenden Auftrag dahinter auswirkt und dass junges Theater nur so lange jung sein kann, wie auch die Schaffenden dahinter jung sind.

Die Thesen beziehen sich also auf beide Seiten der Bühne – die Spielenden ebenso wie die Rezipient*innen. Beide sind eng miteinander verknüpft und bedingen einander. Sie gelten jedoch nicht für das ganz junge Publikum, wo es andere Formen des Zugangs, andere Spielregeln braucht.

Ist das Ziel, jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass es auch ihre Kultur ist, die da auf der Bühne stattfindet, so geht das aus Ansicht der Autor*innen nicht über ein FÜR, sondern zwingend über ein partizipatives MIT.

Stehen auf der Bühne Jugendliche und waren auch sonst in den künstlerischen Prozess eingebunden, ist das Publikum nicht nur wesentlich jünger, sondern offen, positiv und kommt aus eigenem Antrieb.

Die Thesen sind als Anstoß einer Debatte über ein zeitgenössisches Produzieren und Produzieren von jungem Theater heute gemeint.


Junges Theater ist offen
Alle dürfen, alle sollten. Alle jungen Menschen sollen die Möglichkeit haben, sich in der darstellenden Kunst auszuleben. Der soziale und familiäre Hintergrund und die gesellschaftlich terminierte Zuschreibung sowie das Können dürfen in der Zugänglichkeit der Angebote keine Rolle spielen.

Junges Theater ist diskursiv
Junges Theater ist politisch. Diskurse, die unter jungen Menschen Thema sind, werden aufgegriffen und von ihnen selbst auf der Bühne verhandelt. Dadurch werden junge Sichtweisen auf gesellschaftliche Probleme öffentlich. Zudem ermöglicht es anderen jungen Menschen, in einen niederschwelligen Dialog zu treten und so Hintergründe zu erlangen, die vorher nicht zugänglich waren.

Junges Theater ist jung
Junges Theater ist von und mit jungen Menschen. Damit ist die Zielgruppe bezeichnet, die selbst in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Es gibt eine klare Abgrenzung zu Kindern und Kindertheater, wo dieser Fakt nicht gegeben ist. Andere Zugänge sind in solchen Fällen notwendig.
Das hat eine Wirkung auf das Publikum: Wo junge Menschen selbst auf der Bühne stehen, sitzen ihre Altersgenoss*innen viel öfter im Publikum. Gleichaltrigkeit schafft Glaubwürdigkeit.

Junges Theater ist emanzipiert
Junge Menschen wissen treffsicher, was sie bewegt und wie sie bewegt werden können. In den darstellenden Künsten sollen sie befähigt werden, jene Themenfelder und Diskurse in artistischer Form zu verarbeiten. Sie brauchen niemanden, der*die für sie spricht. Das können sie selbst am besten.

Junges Theater ist vielfältig
Es gibt nicht DAS junge Theater, genauso wenig wie DIE jungen Menschen. Die Bandbreite ist riesig: Egal ob Theater, Tanz oder Performance, bei jungen Menschen verschwindet das Spartendenken, es gibt keine klare Trennung. Diese Vielfalt zeichnet das junge Theater aus.

Junges Theater ist ernst zu nehmen
Hinter jungem Theater steckt viel Aufwand, meist noch mehr als bei institutionalisiertem Theater, da junge Menschen in ihrer Freizeit für eine Produktion arbeiten. Dieses Engagement soll ernstgenommen werden und eine Plattform für Diskussionen und Austausch erhalten, was eine kritische Betrachtung nicht ausschließt.
Es reicht nicht, junge Menschen in eine Schublade mit dem Label "Junges Haus" oder "X für alle" zu packen. Wenn wirklich Interesse da ist, junge Menschen und ihre Standpunkte einzubeziehen, so soll das auf allen Ebenen und in allen Bereichen geschehen.

Junges Theater ist ein safe space
Junge Menschen probieren sich auf der Bühne und in der vorangehenden Probenarbeit aus. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Die Probenarbeit ist gleichwertig mit dem kreativen Endprodukt. Junges Theater findet in einem sicheren Rahmen statt, in dem alles möglich ist. Dieser Rahmen ist keine Einschränkung der Kreativität.

Junges Theater ist selbstbestimmt
Junges Theater basiert auf Selbstbestimmung. Das bedeutet, dass die Spielenden selbst über das behandelte Thema bestimmen oder im Entstehungsprozess der Arbeit mitreden können. Diese ist eine Zusammenarbeit zwischen Leitung und Spielenden.

Junges Theater ist die Zukunft
Ein Teil der jungen Theatermacher*innen von heute sind die professionellen Theaterschaffenden von morgen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die junge Theaterszene zu unterstützen und mit ihr Zukunftsmöglichkeiten zu entwickeln. Das ist nicht nur angemessen den Schaffenden gegenüber: Nur so kann zudem eine zeitgemäße Ausbildung und eine dadurch resultierende und durchaus sinnvolle Selektion in Bezug auf die Teilhabe fair und in Bezug auf das Können qualitätssuchend stattfinden.

Ohne Theater der Jugend kein Theater der Zukunft.

 
190706 JuliusEOFintelmann MaximilianHolzenburgJulius E. O. Fintelmann (*2002) ist Initiator und Redaktionsleiter des INTRIGE Magazins und beschäftigt sich in seiner Arbeit zuletzt in einem Gremium des Migros Kulturprozent viel mit der Frage nach der Zugänglichkeit von Angeboten für das junge Publikum. Er schreibt und schrieb unter anderem für das Schauspielhausjournal des Schauspielhaus Zürich, an einem ersten unlesbaren Buch und bald seine Matura.


190811 SariPamer MaximilanHolzenburgSari Pamer (*1996) lebt seit knapp zwei Jahren in Bern und studiert dort Tanz- und Theaterwissenschaft. Sie ist Mitglied der Gründungsredaktion des INTRIGE Magazins. Zur Theaterkritik kam sie durch den Kritikerclub des Jungen Schauspielhauses Zürich, wo sie gemeinsam mit anderen über gesehene Inszenierungen schrieb und diskutierte. Sie schreibt unter anderen für die Berner Zeitung Der Bund.  

   Fotos: Maximilian Holzenburg

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